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Österreich impft – alles „warp speed“ oder was?

Seit dem 27.12.2020 wird in Österreich landauf und landab geimpft. Ob Biontech-Pfizer oder Moderna, dataphile Menschen werden mittlerweile von den Dashboards dieser Welt mit Informationen zu bestellten, ausgelieferten und verimpften Shots versorgt, wenn nicht überrollt. Als einer der Letzteren stellte sich mir die Frage, wie man den Impffortschritt in Österreich bundesländerweise abbilden und nebenbei noch etwas R lernen kann.

Beginnen wir mit einem Bekenntnis: Ich tue mich mit Zahlen schwer. Nicht mit allen, aber manchen. Diesen zum Beispiel:

(Quelle: DerStandard, 2021)

Warum? Das Dashboard ist technisch und graphisch einwandfrei gemacht (#KudosDafür) und bietet ohne Zugangshürde immer frische Ware (#nochmalsKudosDafür). Trotz dieser Bemühungen fällt es mir schwer, 3,44 ausgelieferte Dosen pro 100 Einwohner inhaltlich einzuordnen:

  • Auf welchen Bezugszeitraum bezieht sich dieser Wert?
    • Seit dem 10.01.21 oder seit Beginn der Aufzeichnungen?
    • Moment: Wessen Aufzeichnungen eigentlich?
  • Ist das jetzt viel oder wenig?
  • Wieviel wäre „genug“ (was auch immer das sein mag)?

Um nicht missverstanden zu werden: All diese Fragen lassen sich ausgehend von dem hier exemplarisch gewählten Dashboard (mehr oder minder) beantworten. Was aber wieder mit Recherche und Zeitaufwand verbunden ist.

Und eigentlich interessiere ich mich ja weniger für die Logistik der Auslieferung von Impfstoffen, sondern für die Impfgeschwindigkeit. Bestellte und dann irgendwann auch ausgelieferte Impfdosen müssen ja auch noch ihren Weg in die Oberarme der ÖsterreicherInnen finden. In der Diktion des BMSGPKs – jep, musste auch nachschlagen ;-)- geht dieser Weg von den bestellten, und ausgelieferten Impfdosen über die Teilimpfung zur Vollimmunisierung. Dabei ist der Schritt von den Impfdosen zu den Vollimmunisierten auch nicht so trivial, da je nach Impfstoff eine bzw. zwei Impfdosen für eine Vollimmunisierung nötig sein könnten. Die momentan belastbarste Art die Vollimmunisierten zu messen, ist der elektronische Impfpass. Da aber nicht alle sondern nur ca. 90 % der Vollimmunisierungen in diesem Impfpass verzeichnet werden, liegt die wahre Zahl der Vollimmunisierten vermutlich etwas höher.

So what?

Natürlich kann man nun die Teil- und Vollimmunisierten nutzen, um einen Eindruck der aktuellen Impfgeschwindigkeit zu erhalten. Dazu können u.a.

Nochmals: So what?

Der letztere Zugang Impfgeschwindigkeit als Zeitriehe des Anteils der Vollimmunisierten an der Gesamtbevölkerung einer Bezugseinheit – EU, Nation, Bundesland, you name it – aufzufassen, ist spannend.

Einerseits, weil damit die absolute Zahl der Immunisierten kontextualisiert und als tagesaktueller Prozentsatz (ich weiß, „90% von de Wirtn, san 100% Trottln“ und so weiter) abgebildet werden kann. Das aber fast noch wichtigere Andererseits: Diese Prozentsätze können erneut anhand der angestrebten Impfquote (aka Durchimpfungsrate) kontextualisiert werden. Wie hoch eine auf Herdenimmunität abzielende Impfquote ausfallen sollte, ist auch für COVID-19 nicht klar. Innerhalb der EU wurde die angestrebte Impfquote mit 70 % angesetzt, was so auch von der österreichischen Bundesregierung aufgegriffen wurde. Daraus folgt:

Ein Versuch Impfgeschwindigkeit als geschätzte zeitliche Distanz zur angestrebten Impfquote abzubilden

Wie könnte eine solche Kontextualisierung der Immunisiertenrate mit der angestrebten Impfquote aussehen? Ausgehend von den tagesaktuell vorliegenden Daten zum „Zeitverlauf der COVID19-Impfungen in Österreich“ des BMSGPKs könnte eine solche Kontextualisierung so ablaufen:

In einem ersten Schritt kann je Tag für ein vorgegebenes Zeitfenster – beispielsweise die vergangenen sieben Tage – der gleitende Mittelwert der erzielten Vollimmunisierungen je Tag ermittelt werden:

$$
Vollimmunisierte/Tag_t^n = \frac{Vollimmunisierte_t-Vollimmunisierte_{t-n} } {n}
\\
\begin{aligned}
& t~ …~\text{Zeitpunkt (= Tag) t}\\
& n~…~\text{die letzten n Tage}\\
\end{aligned}
$$

Mit diesen gemittelten täglichen Vollimmunisierungen kann auf die Anzahl der Tage geschlossen werden, bis die zum Erreichen der angestrebten Impfquote notwendigen Personen immunisiert sein könnten:

$$
zeitlicheDistanz_t = \frac
{(Bevölkerung_t * Impfquote)-Vollimmunisierte_t}
{Vollimmunisierte/Tag_t^n}
$$

Diese durch simple Extrapolation ermittelte zeitliche Distanz ist natürlich eine artifizielle Momentaufnahme, die nur unter ceteris-paribus-Bedingungen – also mit ziemlicher Sicherheit nie – als eine einigermaßen valide Schätzung der verbleibenden Zeit bis zum Erreichen der angestrebten Impfquote verstanden werden sollte.

Addiert man diese zeitliche Distanz zum jeweiligen Bezugsdatum, erhält man das extrapolierte Datum des Erreichens der angestrebten Impfquote:

$$
DatumImpfquoteErreicht_t = Datum_t+zeitliche~Distanz_t
$$

Spannender als dieses grobe Schätzen des Erreichens der Impfquote ist es jedoch, die für unterschiedliche Bezugseinheiten ermittelten Verläufe dieser Zeitpunkte einander gegenüberzustellen. Für die österreichischen Bundesländer sieht dies zum Stand 09.02.2021 dann so aus:

Abbildung 1: Zeitliche Distanzen der österreichischen Bundesländer bis zum Erreichen einer Impfquote von 70 %
(Quelle: Eigene Erstellung, 2021)

Ein Blick auf den Verlauf der zeitlichen Distanzen zeigt, dass die in allen Bundesländern Ende Dezember 2020 gestarteten Impfaktivitäten Ende Jänner 2021 zu einer steigenden Zahl an Vollimmunisierten führte. Dieser zeitversetzte „Output“ an Vollimmunisierten zeigt sich in Abbildung 1 an den stark fallenden Kurven der Bundesländer Ende Jänner. Bemerkenswert für den betrachteten Zeitraum ist sicherlich der Vorarlberger „U-Turn“ (sorry – konnte nicht widerstehen ;-)): Ausgehend vom rechnerisch frühestmöglichen Zeitpunkt (Impfstart 27.12.2020 + 3 Wochen = 17.01.2021) wurden dort vom 18.01.2020 an die Immunisierungen konstant bis Ende Jänner 2021 auf durchschnittlich über 400 je Tag gesteigert (vgl. Tabelle 1). Danach ging dieser Wert auf durchschnittlich ca. 50 tägliche Immunisierungen am 08.02.2021 zurück.

DatumVollimmunisiertenoch zu ImmunisierendeDatum - 7 TageVollimmunisierte vor 7 TagenDifferenz ImmunisierteVollimmunisierte je TagDauer noch zu ImmunisierendeTag Erreichen Impfquote (70 %)
26.01.202126827772919.01.202126620,2997205217.06.4682
27.01.202164227735520.01.202126637653,71516419.03.2035
28.01.202164627735121.01.202126737954,14512307.02.2035
29.01.202164627735122.01.202126737954,14512308.02.2035
30.01.2021230127569623.01.20212672034290,5794906.09.2023
31.01.2021324827474924.01.20212682980425,7164507.11.2022
01.02.2021357927441825.01.20212683311473,0058004.09.2022
02.02.2021364627435126.01.20212683378482,5756925.08.2022
03.02.2021365727434027.01.20216423015430,7163702.11.2022
04.02.2021374627425128.01.20216463100442,8661916.10.2022
05.02.2021377127422629.01.20216463125446,4361412.10.2022
06.02.2021379827419930.01.202123011497213,86128211.08.2024
07.02.2021395827403931.01.20213248710101,43270202.07.2028
08.02.2021396027403701.02.2021357938154,43503522.11.2034

Tabelle 1: Zeitreihe des Bundeslandes Vorarlberg (26.01.21 bis 08.02.21)

Was sagt uns das nun?

Zweierlei:
Mit der Ausnahme Vorarlbergs weisen alle Bundesländer in der Entwicklung ihrer Impfgeschwindigkeit eine ähnliche Entwicklung auf: Nach dem Impfstart Ende Dezember 2020 hat die Impfgeschwindigkeit bis Ende Jänner 2021 deutlich an Fahrt aufgenommen (fallende Kurven in Abbildung 1) um sich danach zu verstätigen (annähernd horizontale Kurvenverläufe in Abbildung 1).
Ausgehend von den zum Stand 9. Februar beobachtbaren Impfgeschwindigkeiten wird unter ceteris-paribus-Bedingungen 2021 in keinem Bundesland die angestrebte Impfquote von 70 % erreicht. An dieser Stelle kommt natürlich ein dickes aber: Da ceteris-paribus-Bedingungen mir bislang nur in Lehrbüchern begegnet sind, ist die Validität der dieser Aussage fraglich bis nicht gegeben.

Im Guten (besser verfügbare Impfstoffe, intensiveres Verimpfen etc.) wie im Schlechten (mangelnde Impfbereitschaft, Impfunterbrechungen etc.) beeinflusst vermutlich eine Vielzahl an Faktoren die in den Bundesländern zu beobachtenden Impfgeschwindigkeiten. Der hier angerissene Vorschlag zur Abbildung der Impfgeschwindigkeit kann diese Einflüsse nicht erklären, aber hoffentlich (mir) helfen, vorhandene Daten zum Impfgeschehen in Österreich zu kontextualisieren. Und ja: Gebt Gas liebe Bundesländer, ich will endlich wieder Spaß (#DankeMarkus).

So ich die Zeit dazu finde, werde ich laufend aktualisierte Fassungen der Abbildung zu den Impfgeschwindigkeiten der Bundesländer auf Twitter zum Besten geben. Und falls danach noch Zeit bleibt, landet der R-Code inkl. Daten auf GitHub … falls mir jemand erklärt, wie ich RStudio damit verbandeln kann. Bis das aber so weit ist:

Daten & Code

Den R-Code samt Daten und die daraus erzeugten Abbildungen gibt es hier:
https://github.com/donkoralle/warpspeed


tl;dr
Impfgeschwindigkeit zu messen ist nicht einfach; über die Ermittlung der zeitliche Distanz zum Erreichen einer angestrebten Impfquote wird trotz aller Warnungen ein heroischer Versuch unternommen, diesen Pudding an die Wand zu nageln.

CC BY
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