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Digitales ersetzt Gelände? Eine Polemik in 5 Akten

Ein Kurzvortrag gehalten am Tag der Lehre 2018 der Fakultät für Geo- und Atmosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck.

Vor einigen Tagen hat mich Ernst Steinicke gefragt, ob ich nicht fünf Minuten irgendetwas zum Thema „Digitales ersetzt Gelände“ – Untertitel: „Warum man nicht vor Ort arbeiten muss“ – erzählen kann.

Diese Anfrage hat mich zunächst irritiert, da mir zum Thema spontan nur der Titel einer 1988 durch diese Herren (Public Enemy) veröffentlichten Single eingefallen ist: Don’t believe the Hype!

Als reflexiver Wissenschaftler weiß ich jedoch, dass das Phänomen der Digitalisierung ein globales ist, das seinen Weg natürlich auch an unsere Universität gefunden hat. Digitalisierung, so das oftmals zu hörende Narrativ, ist eine Welle, die wir alle zu reiten haben, ob wir nun einmal wollen oder nicht.

Gut und schön, aber was bedeutet das für meine fünf Minuten, in denen ich erörtern soll, ob Digitales wirklich das Gelände ersetzen kann und wird? Um es kurzweilig zu machen, lade ich Sie ein, den Club 2 in meinem Kopf zu besuchen, Platz zu nehmen und dem Match meiner Gedanken zu folgen, das ich für Sie kommentieren möchte. Ein kleiner Spoiler: Es wird 5:5 ausgehen.

Als Aufwärmrunde vor dem eigentlichen Spiel lassen Sie uns kurz darüber nachdenken, was genau dieses Digitale nun ist: Panorambilder, Videos, Animationen, 3D-Welten bis zu online Selbsttest – eine Vielzahl unterschiedlicher Elemente lässt sich in diese Sammelkategorie einordnen. Zu viel, deutlich zu viel, für meine fünf Minuten, weshalb ich in weiterer Folge gerne 5 Polemiken in meinem gedanklichen Club 2 breittreten möchte, um das gestellte Thema überblicksartig anzugehen.

Polemik #1: Digitale Medien sind 24 x 7 verfügbar und ermöglichen uns damit abseits von Tages-und Jahreszeiten, unangenehmer klimatischer Verhältnisse etc. Wissen über die Welt da draußen zu vermitteln. Beispielsweise im Deep Space 8k des Ars Electronica Center Linz, wo wir auf 16 mal 9 Meter virtuelle Gletscher erkunden könn(t)en. Der kritische Kami in mir unterbricht an dieser Stelle und wendet ein, dass diese 24 x 7 verfügbaren Repräsentationen modellhaft und absichtlich (Stichwort Gatekeeper) oder unabsichtlich selektiv sind. Der Preis der 24 x 7 Verfügbarkeit kann also ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit sein.

Kurz und gut: 1:1.

Polemik #2: Digitale Medien ermöglichen eine 1 zu n Beziehung: Eine digitale Anwendung – beispielsweise die App iGeology zur geologischen Beschaffenheit Großbritanniens – ermöglicht es einer Vielzahl von Studierenden, zeitgleich auf dieses Wissen zuzugreifen. Abseits organisatorischen Hindernissen wie Teilungsziffern, überfüllten Bussen etc. baut Digitalisierung so Zugangshürden ab – schickt die Türsteher heim – und demokratisiert die Wissensvermittlung. „Aber bitte!“ wirft hier mein kritisches Selbst ein, es werden ja vielmehr neue Zugangshürden aufgebaut: Studierende brauchen aktuelle Devices, deren Kosten und Wartung sie meist selbst übernehmen müssen; und ohne Internetz ist auch gleich mal Sendepause. Auch können veraltete Daten wieder absichtlich oder unabsichtlich verzerrte Weltbilder erzeugen, welche aufgrund der 1:n-Beziehung auch gleich n-fach verteilt werden.

Womit auch der Ausgleich zum 2 : 2 gefallen wäre.

Polemik 3: Digitale Lehre „im Gelände“ – also ohne dasselbige – ist ressourceneffizient, da man eben nicht zeitaufwändige und teure Reisen auf sich nehmen muss. Man muss sich auch nicht in Gefahr begeben, sondern kann man beispielsweise mit dem Digital Vulcano gemütlich vom Seminarraum aus seine Studien zum Thema Vulkanismus vorantreiben. Ja schon – der kritische Kami wieder – aber die ErstellerInnen solcher Tools sind qualifizierte ExpertInnen, die natürlich auch entsprechend entlohnt werden wollen. Und diese Damen und Herren können, da sie ja Digitalisierungs- und eben nicht Fachexpertinnen sind, absichtlich oder unabsichtlich selektive Bilder der Wirklichkeit erzeugen.

Und schon steht es 3 : 3.

Polemik #4: Digitale Medien ermöglichen uns den Zugang zum „Nichtsichtbaren“. So kann man anhand der App „Speicherstadt digital“ via Augmented Reality eine Zeitreise in die Vergangenheit der Hamburger Speicherstadt unternehmen. Das Vergangene wird also im Jetzt erfahrbar. Ja moment – Eigentor! – das Digitale ersetzt ja hier ja gerade nicht das Gelände, da diese App ja nur sinnvoll verwendet werden kann, wenn man bereits vor Ort ist.

Per Eigentor kommen wir also zum 4 : 4.

Polemik #5: Digiale Lehr- und Lernmedien umgibt die Aura des Modernen, des Hippen und Trendigen: Studierende werden aus muffigen Bibliotheken in nette, interaktive Lernräume (Stichwort Edutainment) geführt; die Kaffeetasse quasi stets in Reichweite des Tabletts. Na also bitte – ein letztes Mal meldet sich mein kritisches Selbst zu Wort – unreflektierter geht es ja wohl nicht! Wir sollten doch stets nach dem didaktischen Mehrwert digitaler Medien fragen, unreflektierte Narrative digitaler Allmacht beiseite legen und  dem Punkt 1 von Harald Welzers „Anleitung zur Rettung der Welt“ folgen: Selber denken.

Womit wir bei einem Endstand von 5 : 5 angekommen wären.

Meine fünf Minuten sind vorbei. Was lässt sich aus diesen Endstand ableiten?

Statt danach zu fragen, ob digitale Lern- und Lehrmethoden das Gelände ablösen werden, erscheint es mir wichtiger darüber nachzudenken, welchen didaktischen Mehrwert die Nutzung solcher Methoden in der Vorbereitung, der Abhaltung, der Dokumentation und der Bereitstellung von Wissen hat. Nur so erscheint mir möglich, sinnvolle Ergänzungsmöglichkeiten traditioneller und digitaler Lehrangebote zu erkennen und gewinnbringend zu nutzen. Oder um es mit den Worten der Herren vom Anfang zu sagen: To keep our shit real. Danke.

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